James Morrison Biographie
James Morrison
Stell dir vor, du bist gerade mal 19 Jahre jung, und du wurdest soeben aus deinem Autowasch-Job gefeuert. Du warst schon stolze neun Monate angestellt, dein Geist war bereits im Absterben begriffen, und ein belangloser Streit über eine Unpünktlichkeit um zehn Minuten hat allem ein Ende gesetzt. Du hast den Job so oder so gehasst. Die ganze Tyrannei, die Schinderei, der generelle Stumpfsinn. Und doch war es eine regelmäßige Einnahmequelle. Nun bist du Pleite. Deine ganze Familie ist Pleite – also gibt’s auch da keinen Pfennig. In der Wohnung angekommen, streitest du dich mit deiner Freundin. „Ich bin 19 und lebe das Leben eines 40-Jährigen“, beschwerst du dich.
Und jetzt stell dir weiterhin vor, es sind inzwischen zwei Jahre vergangen und dir wird eine der Hauptrollen in einer Hollywood-Produktion angeboten. An der Seite von Robbie Williams. Du hast die Produzenten auf einem Abstecher nach Los Angeles getroffen (ja, dein Leben hat sich schon etwas gebessert seit dem Autowasch-Ding). Eigentlich hast du nur versucht, ihnen ein paar Songs für den Soundtrack anzudrehen. Sie waren von deiner Musik aber dermaßen umgehauen, dermaßen bewegt, dass sie dir gleich eine der Hauptrollen angeboten haben – die romantische Hauptrolle wohlgemerkt, oh ja, die eines Musikers, der sich in ein Mädchen verliebt.
Du fühlst dich geschmeichelt, bist aber auch verblüfft. Schließlich bist du ein Sänger, ein Songwriter, ein Gitarrist – kein Schauspieler oder Möchtegern-Star. Also lehnst du ab. Deine Freunde erklären dich allesamt für durchgeknallt. Auch wenn sich deine Job-Chancen im Laufe der Zeit absolut verändert haben, weißt du, dass die Entscheidung die richtige war. Du hast gerade erst dein Debütalbum aufgenommen, eine fesselnde Sammlung von im Blues getränkten Folk-Soul-Songs. Du bist zu 100 Prozent auf deine Musik konzentriert – immerhin bist du schon so weit gekommen, warum jetzt alles über den Haufen werfen? Hollywood kann warten.
James Morrison besitzt nicht nur die wohl charismatischste und erdigste Soul-Stimme, die ein weißer Engländer je besessen hat. Er hat auch die künstlerische Substanz, die sein Stil verlangt. Seine Texte treffen einen tief unten, in der Magengrube, mit authentischen und emotionalen Worten. Er hat in seinem Leben genügend einstecken müssen – und daraus kann er heute schöpfen: eine kaputte Familie, Schulden, kaum Perspektiven, Freunde, die links und rechts von ihm an Problemen zerbrechen und wieder andere Kindheitsfreunde, die zu erwachsenen Junkies mutieren. Natürlich gab’s auch Liebe, Romanzen, Wärme und Lachen in seinem Leben. Diese Elemente gaben ihm immer wieder Hoffnung. Ließen ihn weitermachen.
„Die Jugend ist für alle eine schwere Zeit“, gibt er zu bedenken. „Ich will gar nicht behaupten, dass es mir schlechter ging als anderen. Dennoch stammen die meisten Emotionen in meiner Musik aus dieser Zeit, aus meiner Jugend. Und die Texte sind mir absolut wichtig –, ich wollte nie so ein Fall von `Oh, gute Musik, aber die Texte sind Scheiß´ sein.“
James kam in Rugby als zweites von drei Kindern zur Welt. Papa war schon frühzeitig über alle Berge. Mit einer Mutter, die mit Schulden und der Erziehung der drei Kinder zu kämpfen hatte, wurden Umzüge schon bald die Regel. Es war eine Serie von Neuanfängen, die nie wirklich als solche funktionierten. „Der Hauptgrund für die jeweiligen Umzüge war ein Schuldenberg, vor dem wir fliehen mussten. Plötzlich hieß es, dass wir aus der Wohnung geschmissen werden, also zogen wir weiter.“
Als James neun Jahre alt war, zogen sie nach Northampton („Was wie jede andere Stadt war: die Leute nahmen einen auseinander, wenn man kein Fußballer oder irgendwie anders war“). Doch: James und seine Familie waren anders. „Ich habe schon mit sechs oder sieben meine Klamotten selbst gebügelt. Meine Mutter war einfach zu fertig von der Arbeit. Als Zehnjährige waren wir schon wie kleine Erwachsene. Wir mussten aufs Haus aufpassen, Mittagessen kochen, morgens alles alleine machen und ohne Hilfestellung zur Schule und zurück kommen. Meine Mutter hatte Probleme, die sie seit ihrer Kindheit mit sich rumschleppte – daraus wurden dann irgendwann Probleme, die sie mit mir, meinem Bruder und meiner Schwester hatte. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Geschwistern. Wir haben uns gegenseitig immer wieder aus dem Dreck gezogen.“
Doch eine Sache fehlte in ihrem Haushalt nie: Gute Musik. James’ Mutter, die selbst einst in einer Band gesungen hatte, besaß eine Plattensammlung, die alles von Pink Floyd bis Van Morrison bzw. von Stevie Wonder bis Michael Jackson abdeckte. „Vielleicht fing es damit an. Ich konnte von diesen grandiosen Sängern einfach nicht genug bekommen. Dieses Gefühl, dass man etwas freisetzt, etwas ausdrückt – das wollte ich auch machen.“
Als James dreizehn war, zeigte ihm sein Onkel dann, wie man ein Blues-Riff auf einer Gitarre spielt. „Ich war völlig baff. Ich musste das auch lernen. Nach nur einer Woche konnte ich schon drei Lieder von Anfang bis Ende spielen.“ Von nun an würde James jeden Abend mit seiner Gitarre verbringen. Ausnahmslos. „Ich hatte so viel aufgestaute Energien in mir, weil ich nur drinnen war, das Haus aufräumte oder bügelte. Gitarrespielen war einfach nur befreiend.“
Mit 15 dann der nächste Umzug, in die Küstenstadt Porth. „Wir waren gerade erst angekommen, da wurde ich schon von Leuten gefragt, ob ich nicht meine Gitarren mitnehmen könnte. `Lass uns am Strand abhängen – ich will deine Songs hören!´ Ich fand das wirklich seltsam, denn in Northampton hatte sich noch nie einer für meine Musik interessiert.“
Ab diesem Tag begann James, auf der Straßen zu spielen. „Ich nahm meistens all meine Freunde mit, und manchmal blieben riesige Menschenmengen stehen und hörten uns zu. Ich habe auf diese Weise schon früh gelernt, vor Leuten zu spielen, ohne dabei nervös zu werden. Und ich habe gut dabei verdient – manchmal bis zu 70 Pfund pro Stunde. Mehr noch: Mädchen kamen natürlich auch vorbei, um sich meine Songs anzuhören... manchmal haben die Typen absichtlich gestört, weil sie eifersüchtig waren.“
An diesem Zeitpunkt hatte er schon zwei Jahre lang jede Nacht Gitarre gespielt. Er blieb nachts lange wach, hörte Otis Redding, Marvin Gaye und Stevie Wonder. „Die Ungeschliffenheit dieser Musik hat mich umgehauen. Dieser klare Gefühlsausdruck. Genau das wollte ich auch können – auf so deutliche Weise Gefühle transportieren.“ Er nahm seine Stimme auf; erst sang er Lieder nach, entwickelte dann nach und nach seinen eigenen Sound. „Nun ja, wenn ein weißer Engländer versucht, haargenau wie Otis Redding zu singen, dann kann das ja nur komplett in die Hose gehen. Also musste ich meinen ganz eigenen Ausdruck finden. Einen Weg, wie ich meine Gefühle rüberbringen konnte.“
In der Schule lief es alles andere als gut. „Ich machte meinen Abschluss in Musik, und sie gaben mir letztlich nicht einmal eine Note – so verdammt schlecht war ich! Da ging es nur um technische Dinge, `Hör dir die Oboe an, schreib ihren Part auf´, so etwas eben. Ich konnte aber eigentlich alles raushören, was da in der Musik passierte. Alles. Ausnahmslos. Ich konnte mir eine Note anhören und sie sofort auf dem Piano spielen. Jedes Mal lag ich richtig. Aber wenn es um technische Dinge ging, war ich einfach nur verloren.“
James spielte in einer Schulband; sie machten Rock- und Soul-Coverversionen. Bekamen ein paar Kneipen-Gigs und landeten einmal sogar im lokalen Fernsehen. Aber schließlich verlief alles im Sand, so dass James nach der Schule als „Zimmermädchen“ jobbte, um das nötige Geld zu beschaffen. Er traf sich jetzt regelmäßig mit einem Mädchen, Gill, die bei seiner Familie zuvor als Untermieterin gelebt hatte. Als sie irgendwann beschloss, wieder in ihren Heimatort Derby zu ziehen, ging James kurzerhand mit. Der einzige Job jedoch, den er dort auftun konnte, war der bereits erwähnte Autowasch-Job. „Das ist so ein Job, den wirklich jeder machen kann. Und weil ich der Jüngste in dem Laden war, bekam ich auch den ganzen Ärger ab. Meistens habe ich einfach die Schnauze gehalten – obwohl man da schon für seine Rechte kämpfen musste. Abends konnte ich nicht einmal mehr Gitarre spielen, weil ich dermaßen müde vom Tag war.“
Nachdem er gefeuert worden war, hielt James Ausschau nach möglichen Gigs in der Stadt. Aber die Pubs waren ausschließlich an Karaoke interessiert. Er war kurz davor, alles hinzuschmeißen und nach Porth zurückzukehren, als ihm ein Gitarrist mit massig Equipment, den er bei einem Open-Mic kennen gelernt hatte, Hilfe anbot und ihn dazu einlud, eine Demo-CD aufzunehmen. Spencer Wells, zuvor A&R, der mit Beverley Knight und David Gray gearbeitet hatte, hörte die CD und setzte sich sofort mit James in Verbindung.
„Da schlürft dieser hagere, weiße Junge mit einer abgehalfterten Jacke, einer Wollmütze und seiner Gitarre auf dem Rücken in den Raum, und ich denke mir nur, dass es niemals der Typ mit der CD sein kann“, erinnert sich Spencer. „Er fragte, `Sie wollten, dass ich für Sie singe?´, und nach nur zwei Textzeilen war ich hin und weg. Seine Stimme ist einfach unglaublich – und dazu ist er so ein bescheidener Kerl, dass er gar nicht realisiert, was für eine Gabe er eigentlich besitzt.“
Spencer und sein Businesspartner Paul McDonald vermittelten einen Deal mit Polydor. Und im Handumdrehen befand sich James in einem vornehmen Studio in West London; an seiner Seite nicht nur den Produzenten Martin Terefe (Ron Sexsmith, KT Tunstall und Ed Harcort), sondern auch eine Streicher-Gruppe aus Nashville. Schon bald wurde ihm klar, dass es für ihn unmöglich ist, über Dinge zu singen, die ihn nicht bewegen – geschweige denn, die Songs von anderen einzusingen. „Ich muss an etwas denken, das mir ganz nah ist, damit ich es stimmlich richtig treffen kann.“
Also schüttete er sein ganzes Leben in seine Songs. „Undiscovered“ ist von einem Freund inspiriert, den er seit seinem dritten Lebensjahr kennt. „Heute ist er voll auf Heroin. Er ist verloren, weiß nicht, wo er hingehört oder was er mit seinem Leben anfangen soll. Er hat mich darüber nachdenken lassen, wie viele Menschen es wohl gibt, die sicher irgendetwas ganz Fantastisches mit ihrem Leben machen könnten, nur haben sie nie die Chance bekommen, haben nie die Möglichkeit gehabt, diese Sache für sich zu entdecken.“
„Pieces Don’t Fit“ (derjenige Song, der den Hollywood-Produzenten die Schuhe ausgezogen hat) handelt von Gill, seiner Freundin. Es ist ein Trennungs-Song, ein Song, der sich zunächst als problematisch darstellte. „Zu der Zeit war ich ganz schön fertig. Sie ist die einzige Freundin, die ich je hatte, aber die Dinge ändern sich – und dann wird es so richtig hart. Heute versteht sie zum Glück, dass der Song von denjenigen Gefühlen handelt, die ich in dem Moment nun einmal hatte. Sie weiß, dass ich nicht andauernd so viel Schmerz verspüre.“
„One Last Chance“ basiert auf der Begegnung mit einem Jungen, der zeitweilig Untermieter bei James’ Familie war. „Seine Mutter hatte ihn richtig schlimm behandelt. Sie war Dealerin, und er musste schon mit acht oder neuen Jahren für sie irgendwelche Kokain-Lieferungen abholen. Er war ein Supertyp, wirklich sehr nett. Er arbeitete in so einer Einrichtung, brachte dort den Kids bei, wie man skatet. Als er dann irgendwann damit anfing, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen und Pillen schluckte, verwandelte er sich in einen ganz anderen Menschen. Er war plötzlich nur noch egoistisch. Bei diesem Song habe ich über sein Leben nachgedacht, wie ihm alles aus dem Ruder gelaufen ist und ihm wohl nur noch eine Chance bleibt, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“
Und dann gibt’s da noch das unglaublich bewegende „Wonderful World“, in dem das Thema von Louie Armstrongs Klassiker zwar verhandelt wird, nicht aber der blinde Optimismus des Vorgängers mitschwingt. „Ich sage, dass es eine `Wonderful World´ sein könnte –, dass sich die Dinge derzeit aber nicht danach anfühlen. Der Song handelt davon, wie es ist, wenn man rausgeht und keiner will einen mehr reinlassen. Der Auslöser war ein schwerhöriger Typ asiatischer Abstammung, dem ich im Bus begegnet bin. Er war absolut besoffen, rannte im Bus durch die Gegend und lächelte einfach jeden an. Andauernd streckte er seinen Daumen in die Luft. Er tat nichts wirklich Schlimmes, das war schon alles OK. Plötzlich legte er seinen Arm um ein Mädchen, und zwar gar nicht mal sexuell, sondern einfach nur als freundliche Geste. Sie aber drehte sich um und keifte ihn an, `Hey, was verdammt noch mal geht hier denn ab? Verpiss dich von hier, du Freak!´“
„Ich denke mal, dass ich mich aufgrund der Tatsache, dass meine Eltern ein bisschen Kacke gebaut haben, mein Vater ein Alki war, immer besonders auf das Gute im Menschen konzentriere.“
Und es gibt einen Song für seine Mutter: „This Boy“. „Meine Mutter war nicht gerade begeisterungsfähig. Meistens war sie traurig. Als Kind denkt man dann, dass das normal ist. Man weiß es ja nicht besser. Als ich dann aber älter wurde, fiel mir auf, dass es ungewöhnlich war. Ich wurde irgendwann wütend darüber, bis mir dann klar wurde, dass es auch nichts ändern würde. Also schrieb ich diesen Song, um ihr meine Gefühle mitzuteilen: Du hast mein Leben vermasselt, aber ich nehme es dir nicht übel. Ich bin noch immer da für dich. Ich nehme es dir nicht übel.“
Die unglaubliche Soulfulness, die in James Morrisons Musik mitschwingt, ist weit davon entfernt, eine bloße Wiederaufbereitung amerikanischer black music zu sein. Stattdessen handeln seine Songs von unverschleierter Ehrlichkeit, von Leidenschaft und von Empfindungen, die unbedingt offen artikuliert werden. So wie er schon sagt: „Wenn man es hier drin nicht fühlt [schlägt sich aufs Herz], dann lass es bleiben.“
Und jetzt stell dir weiterhin vor, es sind inzwischen zwei Jahre vergangen und dir wird eine der Hauptrollen in einer Hollywood-Produktion angeboten. An der Seite von Robbie Williams. Du hast die Produzenten auf einem Abstecher nach Los Angeles getroffen (ja, dein Leben hat sich schon etwas gebessert seit dem Autowasch-Ding). Eigentlich hast du nur versucht, ihnen ein paar Songs für den Soundtrack anzudrehen. Sie waren von deiner Musik aber dermaßen umgehauen, dermaßen bewegt, dass sie dir gleich eine der Hauptrollen angeboten haben – die romantische Hauptrolle wohlgemerkt, oh ja, die eines Musikers, der sich in ein Mädchen verliebt.
Du fühlst dich geschmeichelt, bist aber auch verblüfft. Schließlich bist du ein Sänger, ein Songwriter, ein Gitarrist – kein Schauspieler oder Möchtegern-Star. Also lehnst du ab. Deine Freunde erklären dich allesamt für durchgeknallt. Auch wenn sich deine Job-Chancen im Laufe der Zeit absolut verändert haben, weißt du, dass die Entscheidung die richtige war. Du hast gerade erst dein Debütalbum aufgenommen, eine fesselnde Sammlung von im Blues getränkten Folk-Soul-Songs. Du bist zu 100 Prozent auf deine Musik konzentriert – immerhin bist du schon so weit gekommen, warum jetzt alles über den Haufen werfen? Hollywood kann warten.
James Morrison besitzt nicht nur die wohl charismatischste und erdigste Soul-Stimme, die ein weißer Engländer je besessen hat. Er hat auch die künstlerische Substanz, die sein Stil verlangt. Seine Texte treffen einen tief unten, in der Magengrube, mit authentischen und emotionalen Worten. Er hat in seinem Leben genügend einstecken müssen – und daraus kann er heute schöpfen: eine kaputte Familie, Schulden, kaum Perspektiven, Freunde, die links und rechts von ihm an Problemen zerbrechen und wieder andere Kindheitsfreunde, die zu erwachsenen Junkies mutieren. Natürlich gab’s auch Liebe, Romanzen, Wärme und Lachen in seinem Leben. Diese Elemente gaben ihm immer wieder Hoffnung. Ließen ihn weitermachen.
„Die Jugend ist für alle eine schwere Zeit“, gibt er zu bedenken. „Ich will gar nicht behaupten, dass es mir schlechter ging als anderen. Dennoch stammen die meisten Emotionen in meiner Musik aus dieser Zeit, aus meiner Jugend. Und die Texte sind mir absolut wichtig –, ich wollte nie so ein Fall von `Oh, gute Musik, aber die Texte sind Scheiß´ sein.“
James kam in Rugby als zweites von drei Kindern zur Welt. Papa war schon frühzeitig über alle Berge. Mit einer Mutter, die mit Schulden und der Erziehung der drei Kinder zu kämpfen hatte, wurden Umzüge schon bald die Regel. Es war eine Serie von Neuanfängen, die nie wirklich als solche funktionierten. „Der Hauptgrund für die jeweiligen Umzüge war ein Schuldenberg, vor dem wir fliehen mussten. Plötzlich hieß es, dass wir aus der Wohnung geschmissen werden, also zogen wir weiter.“
Als James neun Jahre alt war, zogen sie nach Northampton („Was wie jede andere Stadt war: die Leute nahmen einen auseinander, wenn man kein Fußballer oder irgendwie anders war“). Doch: James und seine Familie waren anders. „Ich habe schon mit sechs oder sieben meine Klamotten selbst gebügelt. Meine Mutter war einfach zu fertig von der Arbeit. Als Zehnjährige waren wir schon wie kleine Erwachsene. Wir mussten aufs Haus aufpassen, Mittagessen kochen, morgens alles alleine machen und ohne Hilfestellung zur Schule und zurück kommen. Meine Mutter hatte Probleme, die sie seit ihrer Kindheit mit sich rumschleppte – daraus wurden dann irgendwann Probleme, die sie mit mir, meinem Bruder und meiner Schwester hatte. Ich habe ein sehr enges Verhältnis zu meinen Geschwistern. Wir haben uns gegenseitig immer wieder aus dem Dreck gezogen.“
Doch eine Sache fehlte in ihrem Haushalt nie: Gute Musik. James’ Mutter, die selbst einst in einer Band gesungen hatte, besaß eine Plattensammlung, die alles von Pink Floyd bis Van Morrison bzw. von Stevie Wonder bis Michael Jackson abdeckte. „Vielleicht fing es damit an. Ich konnte von diesen grandiosen Sängern einfach nicht genug bekommen. Dieses Gefühl, dass man etwas freisetzt, etwas ausdrückt – das wollte ich auch machen.“
Als James dreizehn war, zeigte ihm sein Onkel dann, wie man ein Blues-Riff auf einer Gitarre spielt. „Ich war völlig baff. Ich musste das auch lernen. Nach nur einer Woche konnte ich schon drei Lieder von Anfang bis Ende spielen.“ Von nun an würde James jeden Abend mit seiner Gitarre verbringen. Ausnahmslos. „Ich hatte so viel aufgestaute Energien in mir, weil ich nur drinnen war, das Haus aufräumte oder bügelte. Gitarrespielen war einfach nur befreiend.“
Mit 15 dann der nächste Umzug, in die Küstenstadt Porth. „Wir waren gerade erst angekommen, da wurde ich schon von Leuten gefragt, ob ich nicht meine Gitarren mitnehmen könnte. `Lass uns am Strand abhängen – ich will deine Songs hören!´ Ich fand das wirklich seltsam, denn in Northampton hatte sich noch nie einer für meine Musik interessiert.“
Ab diesem Tag begann James, auf der Straßen zu spielen. „Ich nahm meistens all meine Freunde mit, und manchmal blieben riesige Menschenmengen stehen und hörten uns zu. Ich habe auf diese Weise schon früh gelernt, vor Leuten zu spielen, ohne dabei nervös zu werden. Und ich habe gut dabei verdient – manchmal bis zu 70 Pfund pro Stunde. Mehr noch: Mädchen kamen natürlich auch vorbei, um sich meine Songs anzuhören... manchmal haben die Typen absichtlich gestört, weil sie eifersüchtig waren.“
An diesem Zeitpunkt hatte er schon zwei Jahre lang jede Nacht Gitarre gespielt. Er blieb nachts lange wach, hörte Otis Redding, Marvin Gaye und Stevie Wonder. „Die Ungeschliffenheit dieser Musik hat mich umgehauen. Dieser klare Gefühlsausdruck. Genau das wollte ich auch können – auf so deutliche Weise Gefühle transportieren.“ Er nahm seine Stimme auf; erst sang er Lieder nach, entwickelte dann nach und nach seinen eigenen Sound. „Nun ja, wenn ein weißer Engländer versucht, haargenau wie Otis Redding zu singen, dann kann das ja nur komplett in die Hose gehen. Also musste ich meinen ganz eigenen Ausdruck finden. Einen Weg, wie ich meine Gefühle rüberbringen konnte.“
In der Schule lief es alles andere als gut. „Ich machte meinen Abschluss in Musik, und sie gaben mir letztlich nicht einmal eine Note – so verdammt schlecht war ich! Da ging es nur um technische Dinge, `Hör dir die Oboe an, schreib ihren Part auf´, so etwas eben. Ich konnte aber eigentlich alles raushören, was da in der Musik passierte. Alles. Ausnahmslos. Ich konnte mir eine Note anhören und sie sofort auf dem Piano spielen. Jedes Mal lag ich richtig. Aber wenn es um technische Dinge ging, war ich einfach nur verloren.“
James spielte in einer Schulband; sie machten Rock- und Soul-Coverversionen. Bekamen ein paar Kneipen-Gigs und landeten einmal sogar im lokalen Fernsehen. Aber schließlich verlief alles im Sand, so dass James nach der Schule als „Zimmermädchen“ jobbte, um das nötige Geld zu beschaffen. Er traf sich jetzt regelmäßig mit einem Mädchen, Gill, die bei seiner Familie zuvor als Untermieterin gelebt hatte. Als sie irgendwann beschloss, wieder in ihren Heimatort Derby zu ziehen, ging James kurzerhand mit. Der einzige Job jedoch, den er dort auftun konnte, war der bereits erwähnte Autowasch-Job. „Das ist so ein Job, den wirklich jeder machen kann. Und weil ich der Jüngste in dem Laden war, bekam ich auch den ganzen Ärger ab. Meistens habe ich einfach die Schnauze gehalten – obwohl man da schon für seine Rechte kämpfen musste. Abends konnte ich nicht einmal mehr Gitarre spielen, weil ich dermaßen müde vom Tag war.“
Nachdem er gefeuert worden war, hielt James Ausschau nach möglichen Gigs in der Stadt. Aber die Pubs waren ausschließlich an Karaoke interessiert. Er war kurz davor, alles hinzuschmeißen und nach Porth zurückzukehren, als ihm ein Gitarrist mit massig Equipment, den er bei einem Open-Mic kennen gelernt hatte, Hilfe anbot und ihn dazu einlud, eine Demo-CD aufzunehmen. Spencer Wells, zuvor A&R, der mit Beverley Knight und David Gray gearbeitet hatte, hörte die CD und setzte sich sofort mit James in Verbindung.
„Da schlürft dieser hagere, weiße Junge mit einer abgehalfterten Jacke, einer Wollmütze und seiner Gitarre auf dem Rücken in den Raum, und ich denke mir nur, dass es niemals der Typ mit der CD sein kann“, erinnert sich Spencer. „Er fragte, `Sie wollten, dass ich für Sie singe?´, und nach nur zwei Textzeilen war ich hin und weg. Seine Stimme ist einfach unglaublich – und dazu ist er so ein bescheidener Kerl, dass er gar nicht realisiert, was für eine Gabe er eigentlich besitzt.“
Spencer und sein Businesspartner Paul McDonald vermittelten einen Deal mit Polydor. Und im Handumdrehen befand sich James in einem vornehmen Studio in West London; an seiner Seite nicht nur den Produzenten Martin Terefe (Ron Sexsmith, KT Tunstall und Ed Harcort), sondern auch eine Streicher-Gruppe aus Nashville. Schon bald wurde ihm klar, dass es für ihn unmöglich ist, über Dinge zu singen, die ihn nicht bewegen – geschweige denn, die Songs von anderen einzusingen. „Ich muss an etwas denken, das mir ganz nah ist, damit ich es stimmlich richtig treffen kann.“
Also schüttete er sein ganzes Leben in seine Songs. „Undiscovered“ ist von einem Freund inspiriert, den er seit seinem dritten Lebensjahr kennt. „Heute ist er voll auf Heroin. Er ist verloren, weiß nicht, wo er hingehört oder was er mit seinem Leben anfangen soll. Er hat mich darüber nachdenken lassen, wie viele Menschen es wohl gibt, die sicher irgendetwas ganz Fantastisches mit ihrem Leben machen könnten, nur haben sie nie die Chance bekommen, haben nie die Möglichkeit gehabt, diese Sache für sich zu entdecken.“
„Pieces Don’t Fit“ (derjenige Song, der den Hollywood-Produzenten die Schuhe ausgezogen hat) handelt von Gill, seiner Freundin. Es ist ein Trennungs-Song, ein Song, der sich zunächst als problematisch darstellte. „Zu der Zeit war ich ganz schön fertig. Sie ist die einzige Freundin, die ich je hatte, aber die Dinge ändern sich – und dann wird es so richtig hart. Heute versteht sie zum Glück, dass der Song von denjenigen Gefühlen handelt, die ich in dem Moment nun einmal hatte. Sie weiß, dass ich nicht andauernd so viel Schmerz verspüre.“
„One Last Chance“ basiert auf der Begegnung mit einem Jungen, der zeitweilig Untermieter bei James’ Familie war. „Seine Mutter hatte ihn richtig schlimm behandelt. Sie war Dealerin, und er musste schon mit acht oder neuen Jahren für sie irgendwelche Kokain-Lieferungen abholen. Er war ein Supertyp, wirklich sehr nett. Er arbeitete in so einer Einrichtung, brachte dort den Kids bei, wie man skatet. Als er dann irgendwann damit anfing, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen und Pillen schluckte, verwandelte er sich in einen ganz anderen Menschen. Er war plötzlich nur noch egoistisch. Bei diesem Song habe ich über sein Leben nachgedacht, wie ihm alles aus dem Ruder gelaufen ist und ihm wohl nur noch eine Chance bleibt, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen.“
Und dann gibt’s da noch das unglaublich bewegende „Wonderful World“, in dem das Thema von Louie Armstrongs Klassiker zwar verhandelt wird, nicht aber der blinde Optimismus des Vorgängers mitschwingt. „Ich sage, dass es eine `Wonderful World´ sein könnte –, dass sich die Dinge derzeit aber nicht danach anfühlen. Der Song handelt davon, wie es ist, wenn man rausgeht und keiner will einen mehr reinlassen. Der Auslöser war ein schwerhöriger Typ asiatischer Abstammung, dem ich im Bus begegnet bin. Er war absolut besoffen, rannte im Bus durch die Gegend und lächelte einfach jeden an. Andauernd streckte er seinen Daumen in die Luft. Er tat nichts wirklich Schlimmes, das war schon alles OK. Plötzlich legte er seinen Arm um ein Mädchen, und zwar gar nicht mal sexuell, sondern einfach nur als freundliche Geste. Sie aber drehte sich um und keifte ihn an, `Hey, was verdammt noch mal geht hier denn ab? Verpiss dich von hier, du Freak!´“
„Ich denke mal, dass ich mich aufgrund der Tatsache, dass meine Eltern ein bisschen Kacke gebaut haben, mein Vater ein Alki war, immer besonders auf das Gute im Menschen konzentriere.“
Und es gibt einen Song für seine Mutter: „This Boy“. „Meine Mutter war nicht gerade begeisterungsfähig. Meistens war sie traurig. Als Kind denkt man dann, dass das normal ist. Man weiß es ja nicht besser. Als ich dann aber älter wurde, fiel mir auf, dass es ungewöhnlich war. Ich wurde irgendwann wütend darüber, bis mir dann klar wurde, dass es auch nichts ändern würde. Also schrieb ich diesen Song, um ihr meine Gefühle mitzuteilen: Du hast mein Leben vermasselt, aber ich nehme es dir nicht übel. Ich bin noch immer da für dich. Ich nehme es dir nicht übel.“
Die unglaubliche Soulfulness, die in James Morrisons Musik mitschwingt, ist weit davon entfernt, eine bloße Wiederaufbereitung amerikanischer black music zu sein. Stattdessen handeln seine Songs von unverschleierter Ehrlichkeit, von Leidenschaft und von Empfindungen, die unbedingt offen artikuliert werden. So wie er schon sagt: „Wenn man es hier drin nicht fühlt [schlägt sich aufs Herz], dann lass es bleiben.“
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