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Marius Müller Westernhagen Biographie

Marius Müller Westernhagen

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Durch die geschlossenen Türen des Konferenzraumes war das Brausen von Applaus zu hören. Es klang wie ein Gewitter in Watte. Der Grund dafür war In Den Wahnsinn, die neue CD von Westernhagen, und die da klatschten waren Angestellte der Plattenfirma Warner Music Group Germany. Der Künstler selbst kam staubedingt etwas zu spät zur Listening Party; den Applaus, der seiner Arbeit galt, hörte er nicht. Aber als er schließlich den Konferenzraum betrat, erhoben sich die dort Versammelten von ihren Stühlen und wieder klang es draußen vor der Tür, als hätte man ein Gewitter in Watte gepackt. Es war zirka halbvier an diesem sonnigen 24. September 2002.

Fast genau ein Jahr zuvor hatte Westernhagen mit der Arbeit an seinem 16. Studioalbum begonnen - zuhause in dem nicht genutzten Zimmer seines Sohnes Guilio, der irgendwo in Italien herauszufinden suchte, was er mit seinem jungen Leben anfangen will. In "Guilio´s room" begann die Vorproduktion der Songs, die später in Florenz und Bologna ausgedeutet werden sollten. Wie immer stammte das gesamte Material aus der Feder von Westernhagen. Jetzt in der zweiten Phase saß er mit seinem New Yorker Co-Produzenten Kevin Bents und seinem Ingenieur Dieter Krauthausen zusammen. Ihr Hauptinstrument zu dieser Zeit: Pro Tools, eine Software, mit der man im Computer die Architektur, die große Linie eines Songs anlegen kann.

"Ich hatte an Eckpunkten meiner eigenen Geschichte immer das große Glück Menschen zu treffen, die mir weiterhalfen. Das gilt auch für Kevin. Die amerikanische Singer / Songwriterin Eva Keretic, mit der Kevin gerade an ihrem Debütalbum arbeitete, machte uns bekannt. Schon beim ersten Treffen wurde mir klar: Das passt. Kreativ, musikalisch, menschlich. Wir lieben dieselbe Musik, wir haben eine Sprache, eine Richtung...."

Die Richtung heisst: "modern day rock´n´roll". Da das im Deutschen nicht geht, hier die Übersetzung: Rockmusik, die das Beste von Heute mit dem Besten der Tradition verbindet. Zeitgenössische, absolut moderne Sounds, vielfach geschichtet, aber der Beat heftig, die Gitarren laut und aggressiv. Das Hirn von Pro Tools, das Herz des Rock´n´Roll. Lärm, aber der bitteschön grandios, gewaltig. Mit anderen Worten: Da hängen Eier dran.

Ganz aufmerksame Zeitgenossen kennen den Namen Kevin Bents. Sie haben die Liner Notes, das Kleingeschriebene auf CD-Covern von Jewel, Boz Scaggs, Steely Dan, Phoebe Snow, Spin Doctors oder Defunkt studiert. Denn für all diese Acts war Kevin als Produzent, Musiker oder Songwriter tätig. Es passt ins Bild, dass er als Mensch jene Mischung aus großem Jungen und zerstreutem Professor ist - einer, der ohne Ticket am Flughafen steht und sich wundert, dass man ihn nicht eincheckt, einer, der nach einer langen Nacht im Studio noch stundenlang im Netz surft oder mal eben zwei Bücher liest.

"Es war nicht immer leicht mit ihm, aber stets hochspannend. Manchmal musste ich Kevin auch ins Hotel schicken, sonst wären wir wohl heute noch nicht fertig", erinnert sich Westernhagen. Neben Bents bestand die Band aus dem Chef selbst (lv, bv, a guitar, harmonica ), Markus Wienstroer (e- + a-guitar., sitar, violin, e-violin), Martin Ditcham (drums, toy drums, percussion, trommelte u.a. beim Soloalbum von ex Talk Talk Mark Hollis), Julian Crampton (bass, d-bass), Friso Lücht (Keyboards), Romney Müller-Westernhagen (b voc, pics ) und als Gast bei Die Liebe Lebt und Wenn Du Glaubst der ex-Kowalski Rüdiger Elze (e guitar). Kann man bei einer für´s Studio zusammengestellten Truppe von einer Band sprechen? Ja, man kann!

"Ich verlegte die Aufnahmen nach Italien, weil ich mir dadurch eine größere Intensität versprach. Außer Romney sprach keiner Italienisch, keiner musste noch Lottoscheine wegbringen oder die Kinder abholen oder schnell zurück zur Family - hier war man im Exil, hier ging´s von morgens bis abends und von abends bis nachts nur um eins: die Songs, die Musik, unser Ding... Und dieser Kunstgriff hat wirklich Wunder gewirkt. Wir klangen nach wenigen Tagen wie eine Band, die schon seit Jahren zusammenspielt. Zufall, Glück - ich glaube nicht an Zufälle!"

Die Rechnung ging auf: Nie klang Westernhagen cooler, intensiver, packender... Der berüchtigte Kontrollfreak ließ los, ließ seinen Mitstreitern Raum für perfekte Mannschafts-leistungen, für solistische Kapriolen, für Spielwitz, den programmierten Dammbruch.

Deswegen - und das kann man nicht oft genug betonen - beginnt In Den Wahnsinn erst da, wo andere die Bandmaschine schon wieder abgestellt haben. Und so muss Rockmusik sein - verwegen, gewagt, beunruhigend. Damit kann man wieder die Nachbarschaft erschrecken und die Eltern aus dem Zimmer ekeln. Das macht wach wie ein Griff in die Steckdose.

"Wenn man über so viele Jahre so erfolgreich ist, dann setzt ein Automatismus ein, der lähmend wirkt. Man macht ein Album, spielt Stadien, alle erwarten die Pole Position, die Platinumsätze. Deswegen brauchte ich eine Zäsur. Keine Stadien mehr, die "Best Of"-Veröffentlichung und dann die Begegnung mit Kevin und auf einmal gingen die Türen auf, die vorher scheinbar verschlossen waren. Ich wollte schon lange mal wieder ein richtiges Rockalbum machen. Ich wollte Risiko, Aufregung, Unsicherheit. Ich wollte Spannung, den Kick."

In den Wahnsinn wird die überraschen, die Westernhagen in der musikalischen Mitte eingeordnet und dem Mainstream - Establishment zugeschlagen haben. Mit kleiner Band wurden 12 Titel eingespielt, die wirklich einen Superlativ verdient haben: best Westernhagen ever!!

Die Anhörung des Werkes wird zum Trip durch einen Orkus von Sounds und Klängen und Geschichten. Immer tiefer wird man in diesen Mahlstrom reingezogen. Ein Tipp: Man muss In Den Wahnsinn volle Lautstärke hören, um mitzukriegen, was sich da auf diesen verschiedenen Ebenen alles tut: Der wunderbar einfache Rock´n´Roll-Chor gegen Ende von Es Ist An Der Zeit; die Riffs, die schieben und drücken; die Gitarrenstimmen, die sich verbinden, auftürmen, auseinanderdriften und wieder zusammenfinden; die perfekte Mischung aus melodischer Popkultur und rockmusikalischem Ungestüm; die zu Claims verdichteten, minimalistischen Texte; der Alptraum-Song Why Don´t You Say Your Name mit der stolzen Laufzeit von 7:45 Minuten und einem Mega- Grusel-Plot; der muntere Reggae über ein Luder namens Genevieve; das bewegende Liebesbekenntnis zu dem großen Tänzer Nurejev; all die poetischen Momente und all die großen Gefühle.... "und die Welt brennt lichterloh".

In Den Wahnsinn ist das, was Rock´n´Roll in seinen besten Stunden immer war: einfach und komplex. Es geht um Krieg und Frieden, um Sex und Drogen, um Liebe und Verlust, um Betrogenwerden und Betrügen. Es ist wie Leben, das passiert. Gewaltig und gewalttätig. Gegenwart unmittelbar!

Dementsprechend sind die Reaktionen. Man ist atemlos, gefordert, geschafft, aber zufrieden. Gute Rockmusik ist Massage für die Seele. Und Westernhagen hat uns kräftig durchgeknetet.

In Den Wahnsinn - das Cover zeigt ein Gottfried Helnwein - Gemälde - macht deutlich, dass es Künstler gibt, die sich von Millionenverkäufen und Erfolgsdruck nicht versauen lassen und sich auf das Wesentliche konzentrieren: authentisch bleiben und Musik machen, die diesen Namen verdient. Westernhagen ist so ein Künstler!
     

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